Gewalt, Ausbeutung und Entfremdung: So funktioniert Fortpflanzung in der Massentierhaltung
Deutschland
Das
Thema Fortpflanzung spielt in der industriellen Tierhaltung eine enorm
wichtige Rolle, denn ohne Nachwuchs kann es die fortlaufende Produktion
tierischer Lebensmittel nicht geben. Auf eine rentable und effiziente
Herstellung von Massenware angelegt, sollen alle Vorgänge dabei
kostengünstig und zeitsparend gestaltet werden. Für eine natürliche
Reproduktion ist in dem System Massentierhaltung folglich kein Platz.
Die romantische Vorstellung davon, dass in den Ställen männliche und
weibliche Tiere zusammenleben und sich ab und an mit einem Artgenossen
ihrer Wahl paaren, entspricht dabei so gut wie nie der Realität.
Um in kurzer Zeit so viel Nachwuchs wie möglich zu produzieren, wird die Vermehrung der Tiere in der Massentierhaltung von Menschen organisiert und durchgeführt.
Die Vater- und Muttertiere bekommen sich dabei meist überhaupt nicht zu
Gesicht. Ziel ist es, dass möglichst viele Tiere trächtig werden, da
jene, die keinen Nachwuchs bekommen, trotzdem mit Nahrung versorgt
werden müssen, Platz wegnehmen und somit als nicht profitabel gelten. Es
gibt sogar spezifische Berufe, wie zum Beispiel sogenannte Besamungstechnikerinnen und -techniker, die eigens für die Befruchtung der Tiere verantwortlich sind.
Anstelle des ursprünglichen Fortpflanzungsakts, müssen die Tiere
automatisierte Abläufe und technisierte Eingriffe mit speziellen Geräten
über sich ergehen lassen, wie die folgenden Beispiele verdeutlichen.
“Absamung” der männlichen Tiere
Damit weibliche Tiere künstlich befruchtet werden können, müssen zunächst die Spermien von männlichen Tieren gewonnen werden. In der Rinderzucht werden
dazu beispielsweise Attrappen oder kastrierte “Standbullen” eingesetzt,
die in dem ausgewählten Bullen einen “Aufspringreflex” auslösen.
Während er glaubt, sich gerade mit einem weiblichen Tier fortzupflanzen,
wird sein Sperma mithilfe eines Auffangrohrs von einem Menschen eingesammelt.
Im Labor werden die Spermien untersucht, verdünnt und eingefroren, bis
eine Kuh paarungsbereit wird, deren biologisches Ausgangsmaterial, den
Zuchtkriterien zufolge, mit dem des Bullens übereinstimmt.
Männliche Puten in Massentierhaltung
sind aufgrund der starken Überzüchtung kaum mehr in der Lage, sich auf
eigenen Beinen zu halten, geschweige denn sich selbstständig
fortzupflanzen. Bei der sogenannten Absamung sind deshalb mindestens
zwei Personen beteiligt, um das Tier gewaltsam in einem sogenannten Absamungsgerät zu fixieren.
Während nur noch seine hintere Hälfte aus dem Gestell herausragt, wird
der Puter dann zur sexuellen Stimulierung manipuliert, bis es möglich
ist, seine Spermien in Plastikröhrchen einzufangen.
Männliche Schweine, die zur Zucht eingesetzt werden, dürfen
oft kein einziges Mal in ihrem Leben eine Paarung mit einem weiblichen
Schwein erleben. Manche von ihnen sind aufgrund der Überzüchtung so
anfällig für Krankheiten, dass sie das sterile Umfeld ihres Stalls
niemals verlassen dürfen und ihr ganzes Leben lang nur mit wenigen
Menschen in Berührung kommen. Bei ihrer “Absamung” wird üblicherweise nach der sogenannten Handmethode verfahren
(s. Foto rechts). Ähnlich wie bei den Rindern, kann es vorkommen, dass
ihnen zunächst die Sicht auf das Hinterteil von anderen, durch Gitter
von ihnen getrennten “Zuchtebern” gewährt wird. Da die Tiere auf den
ersten Blick nicht erkennen können, ob es sich dabei um eine männliches
oder ein weibliches Tier handelt, wirkt dieser Kontakt anregend und
führt zu einer vermehrten Ausschüttung des männlichen Geschlechtshormons
Testosteron. Der Eber ist folglich bereit zur Paarung und wird zu einer
Schweine-Attrappe geführt, die er als Sprungpartnerin akzeptiert und
sie besteigt. In circa zwanzig Minuten kann ein Eber bis zu einen Liter
Ejakulat produzieren, doch dazu muss er die ganze Zeit über von einem Menschen mit der Hand stimuliert werden.
Die Spermien werden mit Hilfe eines Plastikgefäßes aufgefangen,
verdünnt, in kleine Behälter abgefüllt und von Kurieren an die
Zuchtbetriebe ausgeliefert.
Künstliche Befruchtung der weiblichen Tiere
In der freien Natur läuft der Paarungsvorgang von
Schweinen so ab, dass sich das männliche und das weibliche Tier zunächst
einmal kennenlernen, sich berühren, gegenseitig beschnuppern und
umkreisen, sich mit bestimmten Lauten und Botenstoffen Signale geben und
miteinander kommunizieren. Die eigentliche Paarung dauert
verhältnismäßig lange, etwa zehn bis zwanzig Minuten.
Für die künstliche Befruchtung in der industriellen Tierhaltung müssen die weiblichen Schweine jedoch in engen Kastenständen stehen (s.
Foto rechts). Dabei kann es vorkommen, dass zu ihrer Stimulation in
Sichtweite ein Eber an ihnen vorbei getrieben wird; häufig bleibt ihnen
jedoch selbst dieser Kontakt mit dem anderen Geschlecht untersagt, weil
stattdessen künstlicher Eberduft aus der Sprühdose eingesetzt wird.
Während der Besamung, wird ihnen dann entweder von einem Menschen von hinten in den Rücken gedrückt, oder es werden speziell konstruierte Stimulationsgeräte benutzt, die für eine “vollautomatische, ordnungsgemäße und gleichmäßige Stimulation” sorgen sollen. Schließlich erfolgt die künstliche Besamung durch eine Person, indem die Spermien des Ebers mit Hilfe von Kunststoffröhrchen in den Körper des weiblichen Tieres eingeführt werden.
Milchkühe werden befruchtet, indem ihnen zunächst der Arm einer Person gewaltsam in das Rektum
und anschließend weitere Instrumente oder Kanülen in die
Geschlechtsorgane eingeführt werden. Über diese gelangt das Sperma der
Bullen in ihren Körper (s. Foto unten). Auch bei Puten und Hühnern läuft die Besamung nach einem ähnlichen Muster ab. Die weiblichen Tiere werden zusammengetrieben und von einem Menschen fixiert – eine häufig gewaltsame und äußerst stressige Prozedur für die sensiblen Tiere. Anschließend werden die Geschlechtsorgane leicht herausgestülpt und die Pute wird mit Hilfe von Kunststoffkanülen von einer weiteren Person besamt.
Gewalt, Ausbeutung und Entfremdung
Aus ethischer Sicht ist die künstliche Fortpflanzung in diesem Ausmaß aus vielerlei Hinsicht problematisch: in
der Massentierhaltung wird den Tieren das Ausleben ihrer Sexualität,
ihrer grundlegenden Bedürfnisse und natürlichen Verhaltensweisen
verwehrt. Anstatt die Abfolgen des Betriebs an ihrem
biologischen Rhythmus zu orientieren, wird dieser an die
Rahmenbedingungen der Produktionsprozesse angepasst. Der Einsatz von
Hormonen zur Regulierung der weiblichen Zyklen ist zum Beispiel in der
Schweinezucht Standard. Durch die hormonelle Steuerung soll der Eisprung
der Schweine synchronisiert und später auch die Geburt der Ferkel
gleichzeitig eingeleitet werden, um dadurch die Arbeitsprozesse in den
Betrieben zu vereinfachen.
Der Einsatz weiterer fragwürdiger Hilfsmittel zur industriellen “Tierproduktion” –
potenzsteigernde Präparate, Gleitmittel, Besamungs- und
Stimulationsprodukte – sollen für einen reibungslosen und schmerzfreien
Ablauf sorgen, doch sie schaffen für die Tiere ein abnormales und völlig
entfremdetes Umfeld; weit entfernt von ihrem natürlichen oder
artgerechtem Verhalten. Zudem geschehen alle Verfahren ohne die
Einwilligung der Tiere. Da die Tiere sich nicht selbst wehren können, bleiben sie ständigen Situationen der Ausbeutung ausgesetzt.
Familien werden auseinandergerissen
Hinzu kommt, dass sich die meisten Tiermütter nur für kurze Zeit oder gar nicht um ihre eigenen Babys kümmern dürfen.
Milchkühen wird ihr Kalb häufig nach wenigen Tagen, Stunden oder sogar
direkt nach der Geburt entrissen, damit ihre Muttermilch für den
menschlichen Konsum verkauft werden kann. Puten in der industriellen
Tierhaltung dürfen ihren Nachwuchs niemals kennenlernen. Sie legen ihre
Eier zwar in Nestern ab, doch diese werden von Maschinen ausgebrütet.
Für die sozialen Tiere ist die Trennung von Mutter und Kind genauso grausam, wie es für uns Menschen der Fall ist.