Montag, 2. März 2015

Tierquälerei - seelische Störung

PSYCHIATRIE HEUTE - seelische Störungen erkennen, verstehen, verhindern, behandeln

Prof. Dr. med. Volker Faust - Arbeitsgemeinschaft Psychosoziale Gesundheit

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Es gibt wenige menschliche Entgleisungen, die ein so einhelliges Urteil auslösen, wie die Tierquälerei. Jeder, der davon hört, ist ratlos oder empört und kann sich gar nicht vorstellen, wie man sich zu einer solchen Tag hinreißen lassen konnte. Und vor allem wie ein solcher Mensch charakterlich strukturiert ist. Das heißt, man kann es sich schon denken, nur die konkreten Hintergründe, Ursachen und Motive liegen einem fern. Hier kann die Wissenschaft weiterhelfen, vor allem die forensische Psychiatrie.Sie hat auch das untersucht, unterschiedet sehr wohl zwischen "normaler" Tierquälerein (denn auch das gibt es, und zwar unter bestimmten Bedingungen gar nicht so selten), krankhafter Tierquälerei und delinquenter Tierquälerei, sowie passive und aktive Tierquälerei. (...)

Nun gibt es große Unterschiede, wie in alle Bereichen des Lebens, so auch bei der Tierquälerei: von den eher schuld-bewussten "Experimentieren" schon im Kindesalter ("mal sehen, was dann kommt...") bis zu extrem sadistischen Quälereien ohne jegliches Gefühl für das Opfer. (...)

Als aktive Tierquälerei wird das Quälen, Misshandeln oder unnötige Töten von Tieren bezeichnet.
Als passive Tierquälerei gelten die Vernachlässigung oder Verwahrlosung von Tieren.

Nach dem Tierschutzgesetz wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft, wer ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet oder einem Wirbeltier entweder aus Roheit erhebliche Schmerzen, Leiden oder länger anhaltende oder sich wiederholende erheblich Schmerzen oder Leiden zufügt. (Wobei manche Tierschützer diese juristische Differenzierung auch wie folgt kommentieren: Ohne Wirbel keine Gnade....)

Das Gesetz bewertet die (gefühllose) Gesinnung des Täters sowie die Intensität der Misshandlungen. In der forensischen Literatur spielt die Tierquälerei als Risikofaktor für späteres gewalttätiges Verhalten eine nicht unerhebliche Rolle. So finden sich Berichte von Mehrfach- und Massenmördern, die in ihrer Kindheit regelmäßig Tiere quälten. (...) Kurz: es gibt offenbar einen wissenschaftlich nachweisbaren Zusammenhang zwischen Tierquälerei und späterer Gewalttätigkeit.  (...)

So finden sich beispielsweise als Motiv für Tierquälerei bei Kindern und Jugendlichen Gruppendruck, Stimmungsverbesserung, Neugierde, eigener Missbrauch, Identifikation mit dem Missbrauch, traumatisches Spiel, Imitation, Ausdruck eines emotionalen Missbrauchs, Selbstverletzung, sexuelle Gratifikation (...) ferner Bindung an das Tier, Tierphobie bis hin zum Ausprobieren der späteren zwischenmenschlichen Gewalt.

Dabei scheinen sich zwei Grundtypen herauszuschälen:

- die "normale" Tierquälerei findet sich beispielsweise bei Vorschulkindern mit unreifer emotionaler Intelligenz (Gemütsdefizit) und Empathielosigkeit. (...)

- die pathologische Tierquälerei erfasst nun nach Experten-Meinung vor allem ältere Kinder und Jugendliche. Bei ihnen ist Tierquälerei Ausdruck seelischen Ungleichgewichts, beispielsweise durch körperlichen oder sexuellen Missbrauch oder häusliche Gewalt.

- die delinquente Tierquälerei. Das sind Täter, die Alkohol oder Rauschdrogen während der Tierquälerei konsumieren oder andere antisoziale Handlungen begehen.
Als pathologische Gründe für Tierquzälerei in diesen Zusammenhängen werten die Experten: Langeweile, Stimmungsverbesserung, Selbstwert-Erhöhung, gezieltes Abreagieren von Agressionen, Ausleben sadistischer Phantasien oder die Wieder-Inszenierung des eigenen Traumas (also eine gezielte Wieder-Belebung früherer seelischer und psychosozialter Verwundungen).

(Erst in neuerer Zeit...) wurde Tierquälerei als Kriterium für die Störung des Sozialverhaltens und damit auch für die antisoziale Persönlichkeitsstörung aufgenommen. (...)

(...) Kinder, die Tiere quälten, unterschieden sich von denen ohne Tierquälerei nicht  bezüglich ihrer Impulsivität, der familiären Probleme oder im Sinne internalisierenden Verhaltens. Sie zeigten aber ein deutlich größeres Selbstwertgefühl.
Das überrascht erst einmal. Doch Selbstwertgefühl ist nicht gleich Selbstwertgefühl in unserem normal-psychologischen Sinne. Es gibt nämlich einen bestimmten Unter-Typ bei Menschen mit Störungen des Sozialverhaltens, dem man auf Grund seiner besonders ausgeprägten negativen Wesensmerkmale den ... Begriff der Psychopathie anheftete (....) Und diese Menschen zeichnen sich nicht nur durch schwere Verhaltens-Auffälligkeiten, Hartherzigkeit u. a. aus, sondern auch durch ein erstaunlich überzogenes Selbstwert-Gefühl, wenn auch mit herben negativen Konsequenzen für ihr Umfeld, z.B. Tiere. 

(...)

Tierquälerei und Persönlichkeits-Pathologie bei delinquenten Jungen und Mädchen

In diesem Zusammenhang interessieren die Erkenntnisse einer größeren Studie der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität zu Köln über Gewalt, Aggression und Persönlichkeit (GAP-Studie). Hier finden sich auch neuere Erkenntnisse zu Fragen des Zusammnhangs zwischen Tierquälerei und Persönlichkeits-Pathologie (...)
Untersucht wurden 170 weibliche inhaftierte Jugendliche und 165 männliche aus den Justizvollzugsanstalten Köln-Ossendorf und Siegburg. (...)

Die inhaftierten Jungen gaben mit 52% hochsignifikant häufiger Tierquälerei an als die Mädchen mit 21%. Oder kurz: jeder zweite Junge und jedes fünfte Mädchen - jedenfalls nach eigenen Angaben.

(...) Leichte und mittelschwere Tierquälerei fand sich doppelt so häufig und schwere Tierquälerei viermal so oft bei den delinquenten jungen Männern im Vergleich zu den delinquenten jungen Frauen.

Die spezifischen Instrumente der wissenschftlichen Untersuchung ließen auch eine entsprechende Differenzierung nach Diagnose zu. Auf diese Weise konnte man unterscheiden zwischen antisozialen, paranoiden, narzisstischen sowie Borderline-Persönlichkeits-Dimensionen. (siehe antisoziale/asoziale/dissoziale Persönlichkeitsstörung, paranoide Persönlichkeitsstörung, narzisstische Persönlichkeitsstörung sowie Borderline.)

(...) Oder kurz: antisoziale und Borderline-Wesenszüge sind bei beiden Geschlechtern ein Problem in Bezug auf Tierquälerei; paranoide und narzisstische ebenfalls, aber hier vor allem bei männlichen Jugendlichen.

Das dissoziale Verhalten korrelierte mit dem Schweregrad der Tierquälerei:
fehlende Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse anderer, zwischenmenschliche Feindseligkeit, rechthaberisches Denken, Hartherzigkeit, Reizsuche im Sinne von Impulsivität, fehlende Rücksichtnahme und Besonnenheit sowie entsprechnde Verhaltensprobleme.

Zusätzlich fand sich für die Mädchen ein signifikanter Zusammenhang zwischen Tierquälerei und der "emotionalen Dysregulation". Hier geht es um instabile und reaktive Tendenzen, um Unzufriedenheit mit sich selber und mit entsprechenden Lebenserfahrungen, sowie zwischenmenschlichen Problemen. Beispiele: Ängstlichkeit, Unterwürfigkeit, kognitive Verzerrungen, Identitäts-Problemen, affektive Gemütslabilität, Neigung zu oppositionellem Verhalten, Unsicherheit im zwischenmenschlichen Bereich (Bindung)....

Bei den männlichen jungen Delinquenten ließ sich darüber hinaus ein signifikanter Zusammenhang mit dem Schweregrad der Tierquälerei errechnen, bei den schon erwähnten kognitiven Verzerrungen, bei affektiver Labilität, bei Hartherzigkeit und Verhaltens-Problemen.

Für die Mädchen fanden sich aßerdem hochsignifikante Korrelationen für Selbstschädigung und Verhaltensproblemen, sowie mit affektiver Labilität, Reizsuche und Ablehnung. So die Forschungs-ERgebnisse der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität zu Köln. (...) (...) (...)

Schlussfolgerungen

Diese verschiedenen, dann aber doch irgendwie zusammengehörigen persönlichkeits-pathologischen Profile der jugendlichen Täterinnen und Täter lassen einen interessanten Schluss zu, der da lautet: Tierquälerei könnte symptomatisch für die jeweilig gemachten, früheren Negativ-Erfahrungen sein, vor allem was familiäre Gewalt und häuslichen Missbrauch anbelangt. (...)
Kurz: Tierquälerei als Indiz für bestimmte Persönlichkeits-Defizite, ja konkrete Persönlichkeits-Störungen, vor allem die antisoziale Persönlichkeitsstörung.

(...)
- bei den erfassten delinquenten Jungen scheint sich eher ein paranoid-narzisstisch-empathie-loses Persönlichkeitsprofil darzustellen

- bei den Mädchen ein affetkiv-traumatisches Profil auf Grund seelischen Ungleichgewichts.

Diese Erkenntnis ist afu jeden Fall ein Baustein auf dem Weg zu einer differenzierten Diagnose und damit Therapie, von einer rechtzeitigen Prävention ganz zu schweigen, die natürlich die beste Lösung wäre. Sowohl für die unglückseligen Tieropfer als auch für die Täter, deren Persönlichkeitsdefizite bzw -störungen ihnen gnadenlos Probleme machen werden.

Literatur:

Ausführliches englisch-sprachiges Literaturverzeichnis im Fachartikel:

Sevecke, Kathrin, Mayak. Krischer:
Tierquälerei und Persönlichkeitspathologie bei delinquenten Jungen und Mädchen
Persönlichkeitsstörungen 13 (2009) 219