Montag, 23. November 2020

Der aktuelle Stand der Wissenschaft: Schuppentiere und Sars-CoV-2

Seit Beginn der Pandemie sind unterschiedliche Studienergebnisse erschienen, die – ausgehend vom genetischen Schlüssel von Sars-CoV-2 – Übereinstimmungen zum Erbgut tierischer Coronaviren suchten, um den Übertragungsweg des Virus erklären zu können. Worin sich die Wissenschaft einig ist, ist der bereits erwähnte, sehr wahrscheinlich tierische Ursprung des Virus. Aber weitere gesicherte Erkenntnisse gibt es bis dato nicht: Vermutlich sind es Fledermäuse, die die ursprüngliche Version des Virus in sich tragen. Welche Fledermausart genau, steht allerdings genauso wenig fest wie der weitere Weg. Ist das Virus direkt von einer Fledermaus auf den Menschen übergesprungen oder benötigte es ein Säugetier als Brücke? Bisher unklar.

Wie und warum kamen die Schuppentiere ins Spiel?

Anzumerken ist zunächst, dass Coronaviren im Tierreich insgesamt weit verbreitet und sich untereinander recht ähnlich sind. Einige Studien fanden nun auch in Schuppentieren Coronaviren, die in bestimmten Bereichen eine Ähnlichkeit zu Sars-CoV-2 aufweisen – dies war der Auslöser für die breite mediale Berichterstattung. Bei der Betrachtung der vorliegenden Daten sind führende Wissenschaftler*innen wie u.a. Prof. Christian Drosten von der Berliner Charité aber zu der Erkenntnis gelangt, dass es trotzdem weiterhin nicht ausreichend Belege für eine Beteiligung der Schuppentiere an der Entstehung von Sars-CoV-2 gäbe. Vielmehr sei davon auszugehen, dass sich die Coronaviren in Schuppentieren und anderen Tierarten unabhängig von der aktuellen Sars-Cov-2-Pandemie entwickelt haben – und nur bestimmte Ähnlichkeiten aufweisen.

Schuppentiere sind damit zwar nicht zu 100 Prozent als Virus-Zwischenwirt auszuschließen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie an der Entstehung des Virus beteiligt sind, ist allerdings nach bisheriger Datenlage deutlich geringer als die öffentliche Aufmerksamkeit den Anschein erwecken mag. Endgültige Erkenntnisse über den Ursprung der Corona-Pandemie wird es wie bei der SARS-Epidemie 2002/2003 wohl erst nach einigen Jahren und vielen dutzend weiteren Studien geben können. 

Die große Öffentlichkeit für das Tier ist wichtig – und war bisher nur schwer zu erreichen. In der Vergangenheit erfuhren Schuppentiere vor allem durch den illegalen Wildtierhandel unrühmliche Bekanntheit, durch den sie zu den am meisten gehandelten Säugetieren der Welt gelten. In Ländern wie China und Vietnam werden ihre Schuppen in der traditionellen Medizin verwendet und ihr Fleisch ist für den menschlichen Verzehr begehrt. Eine Übertragung gefährlicher Viren auf einem der dortigen Wildtiermärkte, wo der Kontakt zwischen Wildtier und Mensch leider vielfach nicht vermieden wird, wäre also theoretisch nicht verwunderlich.

Welche Folgen hat der irrtümliche Verdacht, Schuppentiere seien Überträger des Virus, auf den Handel? Führt er dazu, dass auch Wilderer und Konsument*innen künftig lieber einen Bogen um die Tiere machen? Und werden jetzt mehr und mehr Staaten den Handel und Verzehr von Schuppentieren verbieten? Oder werden die Tiere durch die Pandemie stattdessen noch gnadenloser gejagt, zum Beispiel, weil die Krise arme Bevölkerungsgruppen in die Wilderei treibt?

All diese Fragen lassen sich zum jetzigen Zeitpunkt leider noch nicht beantworten, bedürfen aber dringend unserer Aufmerksamkeit. Denn Entwicklungen in den besonders betroffenen Ländern lassen eine vorsichtige erste Einschätzung zu:

In China, dem Land, in dem SARS-CoV-2 zuerst aufgetreten ist und das als Dreh- und Angelpunkt der Nachfrage für Schuppentierprodukte in Asien gilt, ist im Februar ein Gesetz erlassen worden, das verbietet, Wildtiere zu handeln und zu verspeisen. Anfang Juni wurden Schuppentiere außerdem in die höchste Schutzkategorie für Wildtiere aufgenommen und ihre Schuppen als Heilmittel aus dem offiziellen Arzneibuch des Landes gestrichen, was ein Verbot für die Nutzung in der traditionellen Medizin bedeutet. Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen jedoch, dass die Freude über solche Maßnahmen noch gehemmt sein sollte. Denn die Vielzahl sich zum Teil widersprechender Gesetze auf staatlicher, regionaler und lokaler Ebene bot bereits in den vergangenen Jahren immer wieder Schlupflöcher für den Handel oder Verzehr von Schuppentieren. Es bleibt zu hoffen, dass diese angesichts der Corona-Pandemie nun geschlossen und die neuen Gesetze im Alltag durchgesetzt werden.

(c)Welttierschutzgesellschaft e.V.